Beim 15. Branchendialog von ZVEI und BVT trafen sich am 29. April Branchenvertreter, Politiker und Wissenschaftler zum Austausch über EU-Regulierung, Reparaturstrategien und Techniktrends. Was in der schicken Tagungslocation am Los-Angeles-Platz sachlich daherkommt, hat es inhaltlich in sich: Bürokratie, Label-Wildwuchs, Verbraucherirrtümer und sogar Gehirndaten – alles auf der Agenda. Und mittendrin: die Frage, wo der Fachhandel in diesem Gemengelage künftig noch punkten kann.
- 1. Politischer Auftakt: „Vertrauen ist eine Leihgabe“
- 2. Industrie warnt: Nachhaltigkeit ja – aber bitte mit Maß!
- 3. Unrealistische Erwartungen an das Reparaturrecht
- 4. Zukunftsvision oder Datenschutz-Albtraum? Gehirndaten im Handel
- 5. Zinkann (ZVEI): „Wir brauchen keine neuen Formulare – wir brauchen Klarheit!“
- 6. Was bedeutet das für den Fachhandel?
- 7. Parlament des Fachhandels
- 8. Die Lasten gemeinsam schultern
Politischer Auftakt: „Vertrauen ist eine Leihgabe“
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) bekannte offen: Vertrauen in Politik und Verwaltung sei brüchig. Der Staat müsse schneller, effizienter und digitaler werden – sonst verliere Deutschland im Standortwettbewerb weiter Boden. Genehmigungsverfahren müssten beschleunigt und Digitalisierung übergreifend gesteuert werden. Darüber hinaus seien bezahlbare Energiepreise – gerade für das produzierende Gewerbe – ein entscheidender Standortfaktor. Wegner machte deutlich, dass Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung nicht länger aufgeschoben werden dürften – auch wenn dies mit neuen Schulden verbunden sei.
Zudem sprach er sich klar für den Verbleib der IFA in Berlin aus. Die Leitmesse sei nicht nur ein internationales Aushängeschild, sondern auch fester Bestandteil der Berliner Wirtschaftslandschaft. Hier sendete der Bürgermeister ein starkes Signal an die Branche: Berlin steht hinter ihr.
Industrie warnt: Nachhaltigkeit ja – aber bitte mit Maß!
Für die Industrie meldete sich Christoph Wendker (Miele) zu Wort. Er verdeutlichte, dass die kommenden EU-Vorgaben zur Nachhaltigkeit zwar prinzipiell unterstützenswert seien, aber in der aktuellen Form an der Grenze zur Überforderung kratzten. Die geplanten 60 Nachhaltigkeitskriterien, die etwa CO₂-Bilanz, Reparierbarkeit und Materialeinsatz umfassen, seien kaum praktikabel. Noch problematischer sei jedoch die zunehmende Tendenz einzelner Mitgliedsstaaten, nationale Sonderwege zu beschreiten – wie etwa Frankreich mit dem Reparierbarkeitsindex. Wendker betonte, dass weitere Label-Initiativen die Verbraucher nicht etwa informierter, sondern eher verwirrter zurückließen. Jeder zusätzliche Aufkleber auf einem Produkt verursache Aufwand, Kosten und Unsicherheit – nicht nur bei den Herstellern, sondern auch beim Handel. Stattdessen brauche es ein einziges, klar verständliches und europäisch einheitliches Kennzeichnungssystem mit fundierten, technisch messbaren Kriterien.
Unrealistische Erwartungen an das Reparaturrecht
Ein weiterer Schwerpunkt war das Verbraucherwissen zum „Recht auf Reparatur“. Dr. Ralf Deckers vom IFH Köln stellte vorläufige Studienergebnisse vor: Rund 50 Prozent der Konsumenten bevorzugen im Schadensfall eine Reparatur, vor allem bei großen Hausgeräten. Selbst durchgeführte Reparaturen scheitern jedoch häufig an fehlendem Wissen oder Werkzeug. Zudem herrscht große Unsicherheit über das tatsächliche Recht: Nur 44 Prozent der Befragten hatten davon gehört, viele setzen es mit einem Anspruch auf kostenlose Reparatur gleich. Für den Fachhandel bedeutet dies eine doppelte Aufgabe – er muss Servicekompetenz bieten und gleichzeitig über realistische Möglichkeiten aufklären.
Zukunftsvision oder Datenschutz-Albtraum? Gehirndaten im Handel
Ein besonderes Augenmerk lag auf der Vorstellung neuer Technologien. Digitalethikerin Katrin-Cécile Ziegler präsentierte Anwendungsbeispiele für sogenannte Brain-Computer-Interfaces (BCI). In ersten Pilotprojekten werden Gehirnsignale genutzt, um Geräte zu steuern oder Emotionen zu erkennen – etwa bei Musiknutzung oder Smart-Home-Systemen. Für den Handel ergeben sich daraus neue Perspektiven: EEG-Sensoren könnten etwa messen, welche Produkte emotionale Reaktionen hervorrufen. Diese Daten könnten zur Sortimentsplanung oder Gestaltung von Verkaufsflächen eingesetzt werden.
Ziegler betonte aber auch die damit verbundenen Risiken. Gehirndaten seien nicht nur eindeutig wie ein Fingerabdruck, sondern offenbarten auch emotionale Zustände und persönliche Präferenzen. Ohne klare Datenschutzregelungen drohten Missbrauch und Manipulation. „Nur weil etwas technisch möglich ist, heißt das nicht, dass es auch sinnvoll oder ethisch vertretbar ist“, warnte sie.
Zinkann (ZVEI): „Wir brauchen keine neuen Formulare – wir brauchen Klarheit!“
Im Schlusswort betonte Dr. Reinhard Zinkann (ZVEI, Miele), dass die Industrie bereit sei, Verantwortung zu übernehmen – aber nur unter Bedingungen, die praktikabel und wirtschaftlich vertretbar sind. Er kritisierte neue, überkomplexe Regelwerke, die mehr Unsicherheit als Nutzen stifteten. Statt zusätzlicher Labels brauche es verlässliche politische Leitplanken, die Innovation ermöglichen, anstatt sie zu hemmen. Zinkann lobte den offenen Dialog mit dem BVT und sprach sich klar gegen weitere nationale oder brancheninterne Einzelinitiativen aus, die den Markt fragmentieren. Ein starker, einheitlicher Regulierungsrahmen auf EU-Ebene sei der einzig sinnvolle Weg.
Mit großem Applaus verabschiedete die Branche Georg Walkenbach, der sich nach über 20 Jahren Engagement im Verband zurückzieht. Seine Verdienste wurden von Zinkann mit Respekt und Herzlichkeit gewürdigt – ein würdiger Abschluss eines inhaltlich dichten Nachmittags.
Was bedeutet das für den Fachhandel?
Die Veranstaltung hat klar gezeigt: Service, Kompetenz und Aufklärung bleiben zentrale Differenzierungsmerkmale des stationären Fachhandels. In einer Welt voller überfordernder Regulierungen, unrealistischer Verbraucherannahmen und technischer Schnellschüsse ist es der persönliche Kontakt, der Vertrauen schafft – und letztlich Kunden bindet. Der Fachhandel kann sich im Reparaturumfeld klar positionieren – nicht als Erfüllungsgehilfe politischer Visionen, sondern als verlässlicher Dienstleister, der erklärt, berät und umsetzt. Neue Technologie-Trends wie Neurointerfaces sind zwar noch nicht marktreif, könnten aber perspektivisch Einfluss auf Produktentwicklung, Beratung und Kundenerlebnis nehmen – wer das frühzeitig versteht, sichert sich Vorteile.
Der Branchendialog 2025 hat den Finger in viele Wunden gelegt – aber auch gezeigt, dass Industrie und Handel bereit sind, Verantwortung zu tragen. Was sie brauchen, ist keine weitere Formularkultur aus Brüssel oder Berlin, sondern Planbarkeit, Umsetzbarkeit und Augenmaß. Wenn Politik und Regulierung weiterhin im Label-Fieber verharren, wird es der Markt richten müssen – mit klaren Worten und praktikablen Lösungen.
Parlament des Fachhandels
Der Handelsverband Technik (BVT) selbst zieht ein positives Fazit seiner Jahrestagung am 29. und 30. April 2025 in Berlin. Im Rahmen der BVT-Delegiertenversammlung am 30. April, dem „Parlament des Fachhandels“ der Branche, standen die wachsenden Herausforderungen an den Handel durch eine zunehmende Regulatorik im Mittelpunkt. „Es zeigt sich immer deutlicher, wie gefragt und wichtig die Branchenkompetenz nicht nur in der Betreuung der Mitglieder, sondern auch in der politischen Arbeit ist“, so Frank Schipper, BVT-Vorsitzender.
Schipper führte aus: „Vom Recht auf Reparatur über die Produktsicherheitsverordnung und das Passbildgesetz bis hin zu Energielabel ist tiefes, fachliches Know-how gefragt, um praxisorientierte Lösungen zu erarbeiten. Hier steuert der BVT im Schulterschluss mit dem gesamten Fachhandel der Branche und der Einzelhandelsorganisation die notwendige Praxisorientierung und fachliche Expertise bei.“
Bei den aktuellen Herausforderungen für die Home und Consumer Electronics-Branche betont der BVT-Vorsitzenden die Bedeutung der Zusammenarbeit mit der Industrie. Der konstruktive Austausch des BVT und der Fachverbände Hausgeräte/CE im ZVEI dokumentierte sich auch im gemeinsamen BVT/ZVEI Branchendialog, der bereits zum 15. Mal gemeinsame Aufgaben und Trends der Branche thematisierte.
Die Lasten gemeinsam schultern
„Was uns aus Brüssel und Berlin an Lasten aufgelegt wird, können wir nur gemeinsam schultern“, so Schipper. Und: „Nach fast vier Jahren Ampel setzen wir darauf, mit unserer Politikberatung wieder auf offenere Ohren zu stoßen und Akzente im Interesse unserer Mitglieder setzen zu können.“
Als Beispiele für die aktuelle Lobbyarbeit im Interesse des Fachhandels führt der Verband die gemeinsam mit Wertgarantie beauftragte IFH-Studie zum Recht auf Reparatur an, die den politischen Diskurs bei der Umsetzung in nationales Recht wesentlich beeinflussen soll. Gleichzeitig ist der Verband in Abstimmung mit den zuständigen Handelsverbänden auch auf Länderebene wie beim geplanten „ReparaturbonusNRW“ aktiv. Das aktuell in Kraft getretene Passbildgesetz ist ebenfalls ein gutes Beispiel, wie gemeinsame Politikberatung ganze Geschäftsmodelle für die Branche vor staatlichem Zugriff schützen kann.
Im Zuge der Umsetzung der neuen Produktsicherheitsverordnung (GPSR) setzt sich der BVT für eine praxisorientierte Branchenlösung ein, die in enger Abstimmung mit dem Verband entwickelt wird. Ziel ist eine zentrale Plattform, die den Aufwand für Hersteller bei der Datenpflege deutlich reduziert und zugleich Händlern die nötigen Produktinformationen bereitstellt, um regulatorische Anforderungen effizient und rechtssicher zu erfüllen.
Bei der BVT-Jahrestagung in Berlin zeigten neben Vorstand und Delegierten der Landesverbände aber auch die Repräsentanten der wichtigsten Fachhandelsgruppen und -Konzerne sowie die Branchenmesse IFA Flagge. EK Retail, ElectronicPartner, Euronics, expert, MediaMarktSaturn, Telering und als Gast erstmals auch Coolblue waren präsent. Die nächste BVT-Jahrestagung mit BVT/ZVEI-Branchendialog findet am 28. und 29.04.2026 in Berlin statt.