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Kartellamt, Klagen, Kontrollen: Der wachsende Druck auf Temu – und was das für den Fachhandel bedeutet

Internationale Plattformen wie Temu verschärfen den Wettbewerb im Elektrogerätemarkt. Der Beitrag analysiert rechtliche Verfahren, aktuelle Klagen und politische Reaktionen – und zeigt, wie der Fachhandel seine Position stärken kann.

Rechtlicher und politischer Rahmen: Transparenzpflichten, Kartellverfahren und Forderungen an die EU

Der Druck auf internationale Plattformbetreiber wie Temu wächst auf allen Ebenen – juristisch, wirtschaftlich und zunehmend auch politisch.

Im Frühjahr 2025 eröffnete die Europäische Kommission ein förmliches Verfahren gegen Temu wegen mutmaßlicher Verstöße gegen den Digital Services Act (DSA). Im Zentrum stehen Intransparenz bei Empfehlungsalgorithmen, die Verbreitung nicht konformer Produkte sowie manipulative Verkaufstechniken (Dark Patterns). Der DSA verpflichtet große Plattformen, Risiken systematisch zu bewerten, gefährliche Inhalte zu melden und Verbraucherrechte zu sichern. Verstöße können mit Bußgeldern von bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes geahndet werden.

Temu veröffentlichte daraufhin seinen ersten Transparenzbericht, der 115,7 Millionen monatlich aktive EU-Nutzer ausweist. Das Dokument (PDF) ist hier abrufbar: Temu Transparency Report No. 1 – Nov 2024. Die darin dokumentierte Reichweite unterstreicht den erheblichen Einfluss der Plattform auf den europäischen Binnenmarkt – und zugleich den wachsenden Regulierungsbedarf. Die EU-Kommission prüft weiterhin, ob die internen Kontrollmechanismen ausreichen, um Produktsicherheit, Datenschutz und Verbraucherschutz zu gewährleisten.

Auch auf nationaler Ebene hat sich die Lage zugespitzt. Das Bundeskartellamt bestätigte laut einem Bericht der Tagesschau, dass es ein Verfahren gegen Temu eingeleitet hat. Im Raum stehen Vorwürfe, Temu habe Händler durch algorithmische Mechanismen in ihrer Preishoheit beeinflusst und somit unzulässige Marktpraktiken betrieben. Die Behörde reagierte damit auf eine Beschwerde des Handelsverbands Deutschland (HDE). Parallel prüft sie mögliche Verstöße gegen das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§ 19 GWB) und gegen europäische Wettbewerbsregeln (Art. 102 AEUV).

Zugleich hat der Verein für Konsumenteninformation (VKI) in Österreich eine Klage gegen Temu eingereicht, die vom österreichischen Handelsverband (HV) ausdrücklich begrüßt wurde. Der VKI wirft der Plattform vor, mit irreführenden Rabattaktionen und manipulativen Designelementen gegen das Konsumentenschutzrecht zu verstoßen – ein Verfahren, das Signalwirkung für den gesamten EU-Markt haben dürfte.

„Illegale Warenflut aus Fernost“ – HDE-Präsident fordert härteres Vorgehen

Die Kritik aus der Branche wird zunehmend deutlich. In einem aktuellen Kommentar unter der Überschrift „Illegale Warenflut aus Fernost: Regelbrecher stoppen“ warnt Alexander von Preen, Präsident des Handelsverbands Deutschland (HDE), vor einer dramatischen Marktverzerrung durch Billiganbieter aus Fernost.

Er verweist darauf, dass der chinesische Modehändler Shein inzwischen in die Top 10 der umsatzstärksten Onlineshops in Deutschland aufgestiegen sei und Temu mittlerweile zu den fünf größten Online-Marktplätzen zähle. „Der Druck im Einzelhandel ist enorm, der Siedepunkt längst überschritten“, schreibt von Preen – und ergänzt, dass auch viele Hersteller inzwischen massiv unter dem Preisdruck und der unfairen Konkurrenz leiden.

Konkurrenz belebe zwar das Geschäft, aber der Wettbewerb müsse fair bleiben. Von Preen betont, dass auf Plattformen wie Temu und Shein häufig Produkte angeboten würden, die nicht den in der EU gültigen rechtlichen Vorgaben entsprächen. Dadurch werde der Verbraucherschutz verwässert und der Markt mit gefälschten oder unsicheren Waren geflutet. Unternehmen in Europa, die rechtskonform agieren und regelmäßig kontrolliert werden, könnten preislich nicht mithalten.

Der HDE-Präsident fordert daher ein entschlossenes Vorgehen der Politik. Besonders der Zoll müsse effektiver arbeiten können. Die bestehende Zollfreigrenze von 150 Euro müsse rasch abgeschafft werden – nicht erst 2028, wie derzeit geplant. Viele Pakete würden heute bewusst unterhalb dieser Grenze deklariert oder fälschlicherweise mit zu niedrigem Warenwert versehen, um Kontrollen zu umgehen. Eine verpflichtende Anmeldung für jedes Paket aus Nicht-EU-Staaten könne den Zoll entlasten und gleichzeitig Verantwortlichkeiten klären.

Von Preen betont, dass sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene Lösungen längst auf dem Tisch liegen, aber die Umsetzung stocke. „Ansonsten blutet in diesem unfairen Wettbewerb der heimische Einzelhandel aus“, warnt er. Der HDE erhöhe daher gemeinsam mit dem Markenverband den politischen Druck – unter anderem mit einer neuen Allianz gegen illegale Warenimporte. Die jüngste Entscheidung des Bundeskartellamts, ein Verfahren gegen Temu einzuleiten, bezeichnet von Preen als „wichtiges Signal an alle Händlerinnen und Händler“.

Markt und Konsumenten: Zwischen Preisillusion und Vertrauensvorsprung

Die juristischen und politischen Entwicklungen spiegeln sich bereits im Markt wider. Viele Elektrofachhändler erleben, dass Kunden ihre Beratung nutzen, aber anschließend online bestellen. Diese Entkopplung von Service und Verkauf schwächt das Geschäftsmodell des Fachhandels, obwohl die Nachfrage nach persönlicher Beratung, Produktsicherheit und nachhaltigen Lösungen weiter steigt.

Zugleich wächst die Sensibilität der Verbraucher für Qualität und Verantwortung. Immer mehr Kunden erkennen, dass Billigware häufig auf Kosten von Sicherheit, Umwelt und Arbeitsbedingungen geht. Für den Fachhandel eröffnet sich hier die Chance, Vertrauen als Markenkern neu zu positionieren. Beratung, Gewährleistung und Reparaturfähigkeit werden zu klaren Differenzierungsmerkmalen gegenüber anonymen Plattformen.

Strategische Antworten des Fachhandels

In dieser neuen Marktrealität ist Reaktion keine Option – nur aktive Positionierung. Fachhändler sollten ihre Servicekompetenz stärker als Produktbestandteil kommunizieren: geprüfte Qualität, CE-Konformität, Garantieleistungen und Reparaturangebote gehören in den Mittelpunkt der Kundenkommunikation.

Gleichzeitig wird die digitale Sichtbarkeit zur Grundvoraussetzung. Ein aktueller Onlineauftritt, lokale SEO-Optimierung, transparente Bewertungen und eine moderne Kommunikation auf Social Media schaffen Reichweite und Glaubwürdigkeit. Wer nicht online gefunden wird, existiert für viele Konsumenten schlicht nicht.

Nachhaltigkeit ist das dritte entscheidende Feld. Energieeffiziente Geräte, Recyclingangebote und Reparaturdienstleistungen entsprechen dem Zeitgeist – und sie begründen Preisakzeptanz. Damit wird Nachhaltigkeit vom ethischen zum ökonomischen Argument.

Auch Kooperationen bleiben entscheidend. Einkaufsverbände wie Euronics, Expert oder EP ermöglichen Marketingkampagnen, digitale Tools und Einkaufsbündelungen. Regionale Partnerschaften mit Handwerk, Energieberatung oder Stadtwerken stärken zusätzlich die lokale Verwurzelung und schaffen Synergien.

Ausblick

Die laufenden Kartellverfahren, DSA-Transparenzpflichten und politischen Initiativen markieren den Beginn einer neuen Phase europäischer Plattformregulierung. Mit jedem veröffentlichten Bericht wächst die Transparenz – und damit die Erwartung an faire Marktbedingungen.

Für den Elektrofachhandel entsteht dadurch eine historische Chance. Wenn internationale Anbieter gezwungen sind, denselben rechtlichen und steuerlichen Pflichten zu folgen wie lokale Händler, verschieben sich die Gewichte. Der Preis allein verliert seine Dominanz, Service, Vertrauen und Verantwortung werden wieder zu echten Wettbewerbsvorteilen.

Temu und Shein mögen derzeit Schlagzeilen beherrschen – aber langfristig werden Glaubwürdigkeit, Produktsicherheit und Rechtskonformität die entscheidenden Erfolgsfaktoren sein. Der Handel, der diese Werte glaubhaft lebt, wird auch in einer globalisierten Plattformökonomie bestehen.

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