Markt & Branche

Der Technikhandel im Umbruch: Zwischen China-Offensive, Social Commerce und Regulierungsflut

Der deutsche Technikhandel steht vor einer Zäsur. Chinesische Anbieter drängen in den europäischen Markt, Social-Commerce-Plattformen verändern die Art, wie Menschen Produkte entdecken und kaufen, und die wachsende Regulierungsdichte in Europa macht vielen Händlern das Leben schwer. Auf dem heutigen BVT-Presse-Event in den Nero Studios Köln wurde deutlich: Zwischen Druck und Dynamik sucht die Branche nach Orientierung – und nach neuen Chancen.

Laut aktueller BVT-Prognose liegt das Marktvolumen für technische Konsumgüter 2025 bei rund 76 Milliarden Euro – ein leichtes Plus von etwa 1 % gegenüber dem Vorjahr. Nach mehreren rückläufigen Jahren zeichnet sich damit erstmals wieder ein zartes Wachstum ab.

Franziska Köster, stv. BVT-Geschäftsführerin führte durch das BVT-Presse-Event in Köln am 04.11.2025.
Franziska Köster, stv. BVT-Geschäftsführerin führte durch das BVT-Presse-Event in Köln am 04.11.2025.

Chinas Einfluss wächst – der Wettbewerb verschärft sich

Chinesische Marken und Handelsplattformen haben sich in Europa längst etabliert – und sie verändern die Kräfteverhältnisse im Handel spürbar. Der Einstieg des Online-Riesen JD.com bei Media Saturn gilt als Symbol einer neuen Ära.

„Das ist kein Deal, das ist ein Handelsbeben“, sagt Steffen Kahnt – Geschäftsführer des BVT – und eben nicht nur eine reine Finanzmeldung. Chinesische Hersteller wie Midea, Huawei oder Hisense drängten längst in den Markt, jetzt kämen die Handels- und Plattformriesen hinterher.

Steffen Kahnt, Branchenexperte und BVT-Geschäftsführer
Steffen Kahnt, Branchenexperte und BVT-Geschäftsführer

„Der Fall JD.com zeigt, dass nicht nur die Hersteller nach Europa wollen, sondern auch die Einzelhändler. Die Chinesen wollen die ganze Wertschöpfungskette kontrollieren“, so Kahnt. Für den Handel sei das eine „spannende Zeit“ – im positiven wie im negativen Sinne.

Marktdaten zeigen ein dynamisches Wachstum: Chinesische Anbieter verzeichnen in vielen Produktkategorien zweistellige Zuwächse und erreichen in Deutschland teils Marktanteile von über zehn Prozent. Besonders in Segmenten wie Robotersaugern, Smart Home oder Unterhaltungselektronik treiben sie Innovationen voran – und heben damit die Preise im Premiumsegment.

Andreas Peplinski, Marktexperte von NIQ
Andreas Peplinski, Marktexperte von NIQ

„Diese Produkte sind keine Billigware, sondern wertige Qualitätsprodukte, die ihre Berechtigung haben“, erklärt Andreas Peplinski, Marktexperte beim Marktforschungsunternehmen NIQ.

Wettbewerb, so Peplinski weiter, sei grundsätzlich positiv – für die Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie für die Innovationskraft der Branche. Für den Handel selbst bedeute er jedoch steigenden Druck auf Margen und Preisstrukturen.

Vor allem der Plattformboom sorgt für Unruhe. Während internationale Anbieter massenhaft günstige Elektronik nach Europa exportieren, müssen Fachhändler vor Ort eine Vielzahl gesetzlicher Anforderungen erfüllen.

Frank Schipper, Technikhändler
Frank Schipper, Technikhändler

„Temu überschwemmt im Moment Deutschland mit Hunderttausenden Paketen preiswerter Elektronik. Und wir haben hier einen ganz anderen Anspruch an Qualität und Verantwortung“, kritisiert Frank Schipper, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Technik des Einzelhandels (BVT).

Das Problem: Der Wettbewerb ist global, die Regulierung jedoch national.

Regulierungsflut bremst den Handel

Neben dem globalen Konkurrenzdruck kämpft der Handel zunehmend mit wachsender Bürokratie. Kaum ein Jahr vergeht ohne neue Auflagen, Meldepflichten oder EU-Vorgaben – vom Lieferkettengesetz bis zur Energieverbrauchskennzeichnung. Was gut gemeint ist, wird vielerorts zur Belastung.

„Früher gab es pro Jahr mal eine neue Regulierung, heute sind es gefühlt jede Woche neue Vorgaben“, beschreibt Steffen Kahnt die Stimmung in der Branche. Statt Wachstum zu fördern, binde die Verwaltung Zeit, Personal und Geld.

Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht die Absurdität: Frank Schipper – Vorstandsvorsitzender des Handelsverband Technik (BVT) und Technikhändler -, der seit Jahrzehnten Entkalker für Kaffeemaschinen verkauft, erhielt Post vom Gesundheitsamt – man wolle prüfen, ob die Produkte der Chemikalien-Verbotsverordnung entsprechen. „Ich habe 256 Seiten Unterlagen geschickt. Drei Tage später kam die Antwort: Ein Papier war veraltet, eines auf Englisch – und die Prüfungskosten gehen natürlich zu meinen Lasten“, berichtet er.

Die Folge: Während lokale Händler streng kontrolliert werden, können viele internationale Plattformen Produkte ohne CE-Zeichen oder Sicherheitsnachweise vertreiben. Die Waffengleichheit im Handel ist längst verloren gegangen. „Wir sind in Europa Weltmeister im Regulieren. Aber ich frage mich, ob das Wohlstand schafft“, sagt Kahnt.

Social Commerce: Der Impulskauf aus dem Feed

Parallel dazu verändert sich das Kaufverhalten rasant. Social-Commerce-Plattformen wie TikTok schaffen eine neue Dynamik zwischen Unterhaltung, Inspiration und Kaufentscheidung.

„Wir sehen ein Video, das ist cool, das ist einfach. Man sieht den Produktnutzen, klickt – und zack, hat man das Produkt“, beschreibt Andreas Peplinski die Mechanik.

Laut aktuellen NIQ-Daten hat bereits jeder zehnte Online-Shopper in Deutschland über TikTok eingekauft – und das nach nur wenigen Monaten.

Was zunächst als Trend unter Jüngeren begann, erreicht längst auch ältere Zielgruppen. Dass auch ältere Konsumenten auf TikTok einkaufen, zeigt, dass Social Commerce längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.

Typisch für diese neue Verkaufswelt sind günstige Preise und kurze Entscheidungswege – im Durchschnitt rund 25 Euro pro Kauf. Für den stationären Handel mit Fokus auf Beratung und Qualität ist das schwer zu spiegeln. „Wir nehmen das Thema ernst, aber für uns steht wertige Beratung im Vordergrund“, betont Frank Schipper. Social Commerce werde so eher als Kommunikations- und nicht Verkaufskanal verstanden.

In der BVT-Auswertung wird zudem betont, dass der stationäre Handel trotz dieser digitalen Trends unverzichtbar bleibt: Viele Kundinnen und Kunden informieren sich online, suchen jedoch im Laden persönliche Beratung – der sogenannte „Click & Mortar“-Ansatz. Gerade das persönliche Gespräch und Vertrauen in die Expertise vor Ort gelten als zentrale Stärken des Fachhandels.

KI zwischen Buzzword und Nutzenversprechen

Kaum ein Trend prägt die Branche derzeit stärker als künstliche Intelligenz. Vom Fernseher über den Laptop bis zur Zahnbürste – überall prangt das KI-Label. Doch ob die Kundschaft wirklich „KI kauft“ oder nur das Versprechen dahinter, bleibt umstritten.

„KI ist noch kein Kaufkriterium Nummer eins. Aber überall dort, wo der Nutzen konkret spürbar ist, steigt die Zahlungsbereitschaft deutlich“, sagt Andreas Peplinski.

Ein Beispiel: Smartphone-Kameras, die per KI automatisch Personen aus Bildern entfernen oder Inhalte optimieren – dort ist der Mehrwert unmittelbar sichtbar.

Bemerkenswert ist, dass KI längst nicht nur in Produkten steckt, sondern auch im Kaufprozess. Ein zweistelliger Prozentsatz der Konsumentinnen und Konsumenten nutzt bereits generative KI zur Produktsuche – vom Saugroboter bis zum Fernsehern.

Frank Schipper zieht den Vergleich zu den frühen Smart-TVs: „Damals sagten die Leute: Brauche ich nicht! Heute ist Streaming ohne Smart-TV undenkbar. Ähnlich wird es mit KI sein.“ Entscheidend sei, so Schipper, den Kundinnen und Kunden den Nutzen verständlich zu machen – nicht die Technik.

Steffen Kahnt ergänzt kritisch mit Blick auf die Politik: „Wir sind in Deutschland Meister in der Nutzung von KI – aber wir haben wieder Angst davor. Statt zu schauen, wie wir sie sinnvoll einsetzen, bauen wir erstmal ein Korsett drumherum.“

Ergänzend weist der BVT darauf hin, dass insbesondere die IT-Kategorie aktuell als Wachstumstreiber gilt – angetrieben durch neue KI-PCs und das Umrüsten auf Windows 11. Diese Entwicklung sorge im ansonsten stagnierenden Markt für neue Impulse.

Fazit: Druck, Dynamik – und die Suche nach Balance

Der Technikhandel steht an der Schnittstelle von Globalisierung, Digitalisierung und Regulierung. Chinesische Marken bringen Innovation und Preisdruck, Social Commerce verschiebt Kaufimpulse ins Netz, künstliche Intelligenz eröffnet neue Perspektiven – und die Regulierungswut droht, all das auszubremsen.

Trotz allem herrscht kein Pessimismus, sondern Pragmatismus. Händlerinnen und Händler zeigen Gestaltungswillen und Anpassungsfähigkeit. Oder, wie es Steffen Kahnt formuliert:

„Mich fasziniert, mit welcher Dynamik und Bereitschaft die Händler die Zukunft gestalten. Trotz aller Schwierigkeiten wollen sie die Dinge besser machen – und das macht unsere Branche stark.“

So bleibt der Technikhandel auch im Wandel, was er immer war: ein Schaufenster für Innovation – und ein Seismograf dafür, wie sich Märkte, Menschen und Technologien verändern.

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